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Seltene Begegnungen

Im Juni taucht die Sonne in der arktischen Tundra nur für kurze Zeit unter den Horizont und auch dann nur minimal. Die Nacht besteht ausschließlich aus blauer Stunde und die Dämmerung geht sanft in die goldene Stunde über. Eigentlich kann man bei diesen Wetterverhältnissen 24 Stunden am Tag fotografieren. Der schöne Kiefernwald des hohen Nordens bietet einer Vielzahl an Lebewesen einen Platz, an dem sie sich ungestört entfalten können.

Ein beeindruckender Jäger

Im hohen Norden gibt es einen relativ unbekannten Jäger, der vor allem in der Nacht seine Runden zieht. Sehr vorsichtig bewegt er sich auf leisen Pfoten, die von messerscharfen Krallen besetzt sind. Er bewegt sich nicht nur am Boden, sondern klettert auch problemlos auf hohe Bäume. Der Vielfraß gehört zur Familie der Mader und ist dessen größter Vertreter. Viele Tiere stehen auf seinem Speiseplan, was in der kargen Landschaft des hohen Nordens ein großer Vorteil ist. Selbst muss er nur wenige Tiere fürchten und in Finnland können dem Vielfraß nur ausgewachsene Bären und Wölfe gefährlich werden. Er steht damit sehr weit oben auf der Nahrungskette und jagt Luchse, junge Wölfe, Rehe, Auerwild, Hasen und im Winter sogar ausgewachsene Elche. Kaum zu glauben, dass dieser gerade einmal einen Meter lange und 35 Kilogramm schwere Vielfraß einen mehrere hundert Kilogramm schweren Elch erlegt. Er ernährt sich jedoch auch häufig von Fischen und Aas, Baumtrieben und Beeren. Sein Speiseplan ändert sich saisonal sehr stark und besonders im Winter kann der geräuschlose Jäger seine Vorteile gegenüber größeren Säugetieren ausspielen.

Nur ca. 170 Individuen leben im 338.000 km² großen Finnland, was einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleicht. Umso beeindruckender ist es, dass wir dieses Tier tatsächlich im Wald beobachten durften. Eines der Tiere zeigte uns sogar seine Kletterkünste und die beeindruckend scharfen Zähne sowie die langen, scharfen Krallen mit eigenen Augen zu sehen, war ein zusätzliches Highlight. Durch das lange Warten in den Beobachtungshütten und die lautlose Beobachtung der Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum baue ich eine immer stärkere Beziehung zu den Tieren selbst auf. Ich achte auf ihr Verhalten, auf die Interaktion zwischen unterschiedlichen Individuen und die Aufmerksamkeit der Tiere gegenüber äußeren Einflüssen und Geräuschen.

„Nach dem Mittagessen begeben wir uns um 16 Uhr zum Fahrzeug, welches uns zum heutigen Beobachtungsplatz bringt. Die Aktivitäten am Teich waren in den letzten Tagen sehr gering und somit fiel die Entscheidung schnell auf die Hütten am Sumpfgebiet. Zwei große und mehrere kleine Hütten stehen für uns bereit und wir wählen eine der großen Verstecke für uns aus. An diesem Ort haben wir auch die Möglichkeit, aus verschiedenen Positionen zu fotografieren. Einerseits können wir unsere Kameras in bequemer Höhe im Sitzen montieren und zusätzlich dazu gibt es die tiefe Position vom Boden aus, wo wir einen weiteren, spannenden Blickwinkel erhalten. Nach unserem Eintreffen in der Hütte bereiten wir alles vor. Kamera und Objektive in Position, Telekonverter bei Bedarf, Ersatzakkus liegen bereit, so auch Trinkflasche und Fernglas. Jetzt noch die wichtigste Zutat für die Tierbeobachtung: VIEL GEDULD. Die ersten Besuchenden sind Lachmöwen und Mantelmöwen, später gesellen sich noch Kolkraben hinzu. In den weiter entfernten Bäumen sitzen große Greifvögel, die das Geschehen aus der Ferne beobachten. Immer wieder werden sie von den Raben gestört und erst nachdem die großen Seeadler auffliegen, sieht man ihre gewaltige Spannweite. Knapp 2,5 Meter kann die Flügelspannweite dieser gigantischen Greifvögel sein. Mehrere Individuen kreisen über der offenen Fläche und werden auch umgehend von einer Raben-Schar begleitet. Zu einem Zeitpunkt können wir vier Seeadler gleichzeitig beobachten, darunter auch juvenile Exemplare. Die Jungtiere lassen sich deutlich von den adulten Seeadlern unterscheiden. Nach ca. 5 Jahren ist ein Seeadler ausgewachsen und trägt die charakteristische Färbung. Der Schnabel und die mächtigen Greifwerkzeuge sind vollständig gelb gefärbt, das Gefieder am Kopf weist ein helles Braun auf und die Stoßfedern leuchten in weißer Farbe. Im Gegensatz dazu sind die Jungtiere nahezu vollständig braun gemustert. Auch der Schnabel ist großteils noch dunkel, nur die Beine sind schon gelblich gefärbt.

Mittlerweile sitzen wir schon seit mehr als 10 Stunden vor unseren kleinen Fenstern und beobachten die freie Fläche und das angrenzende Waldstück. Immer wieder suche ich mit dem Fernglas die Landschaft ab und stelle mir vor, wie plötzlich ein Bär aus dem Wald auftaucht und über die Feuchtwiesen der Tundra schreitet. Wir schlafen in Etappen, um keine Tieraktivität zu verpassen. Gegen Mitternacht taucht das erste Tier auf. In der Ferne sehe ich ein bodennahes Wesen, das über die offene Landschaft huscht. Sehr aufmerksam bleibt es immer wieder kurz stehen und blickt in unterschiedliche Richtungen. Durch das Fernglas erkenne ich das Tier, ein Vielfraß. Überglücklich wecke ich vorsichtig den Rest der Gruppe auf und wir beobachten, wie er sich nähert. Als er noch mehr als 50 Meter entfernt ist, dreht er plötzlich ab und verschwindet in einem kleinen Wäldchen. Wir hoffen, dass er sich aus einer anderen Richtung annähert, doch leider vergeblich. Meine Augenlieder werden schwer und ich lege mich hin.

FUCHS…Ich bin hellwach und bewege mich so leise und schnell wie möglich zu meiner Kamera. Ein wunderschöner Rotfuchs erscheint kurz nach Sonnenaufgang um ca. 3 Uhr in der Früh auf dem sumpfigen Gebiet. Schnell zieht das Tier über die Landschaft und wir beobachten es in der Ferne. Kurz darauf nähert sich wieder ein Vielfraß und diesmal lässt er sich von nichts stören. Wir können die ersten Bilder aufnehmen und sind überglücklich, diesen seltenen Gast zu fotografieren. Seine anfänglich entspannte Haltung endet mit einem abrupten und hektischen Sprint in den entfernten Wald. BÄR…Plötzlich steht wenige Meter entfernt ein gigantisches Männchen vor uns und wir verstehen sofort, warum der Vielfraß das Weite gesucht hat. Entspannt badet der schöne Bär im goldenen Morgenlicht und unser langes, beharrliches Warten hat ein Ende. Müde und glücklich kehren wir um 7 Uhr zurück und freuen uns schon auf ein gutes Frühstück.“

Bären, die Supernasen des Tierreichs

In unterschiedlichen Bereichen setzen die Menschen Hunde wegen ihres guten Geruchssinnes ein. Doch die tatsächlichen Supernasen des Tierreichs sind die Bären. Laut Forschungen haben Eisbären den am stärksten ausgeprägten Geruchssinn. Durch meterdickes Eis können sie Robben riechen. Wie das möglich ist, kann ich mir persönlich gar nicht vorstellen. Auch die Braunbären haben einen unglaublich guten Geruchssinn und können bis zu 100.000 Mal so gut riechen wie der Mensch. Unvorstellbar! Noch beeindruckender ist vielleicht, dass Bären auch 1.000 Mal so gut wie der Wolf riechen und es mit ihrer hervorragenden Nase schaffen, Aas in mehr als 19 Kilometern Entfernung aufzuspüren. Mit diesem Hintergrundwissen ist es auch absolut verständlich, warum es kaum möglich ist, dass man in einem Wald zufällig auf einen Bären stößt. Aus weiter Ferne können uns die Tiere bereits wahrnehmen und die meisten von ihnen sind ohnehin Vegetarier oder bevorzugen Aas als lebendige Beute.

Ebenso faszinierend ist das Verhalten der Bären untereinander: Sie halten sehr genau einen Sicherheitsabstand zu Artgenossen ein und nehmen ihre Umgebung bewusst wahr. Mamas mit Jungtieren sind besonders aufmerksam und schätzen den Wald als Lebensraum sehr. Hier können sich die kleinen Bären bei Gefahr auf einen Baum retten und die Mutter vertreibt den Eindringling. Das Gefühl, Bären in freier Wildbahn zu beobachten, ist für mich unbeschreiblich und jedes Mal ein absolutes Highlight. Gerade erst aus Finnland zurückgekehrt, kann ich es somit kaum erwarten, die südlicheren Exemplare bald in Slowenien zu erleben.