Der Ruf des weißen Kontinents
In den letzten Tagen der Reise entdecken wir die Regionen der antarktischen Halbinsel. Mehr als 1.000 Kilometer entfernt von der südlichsten Stadt der Erde. Das letzte Kapitel einer so besonderen Reise. Ein Höhepunkt jagt den nächsten, gefüllt mit atemberaubenden Tierbegegnungen in einer Landschaft, die einem Märchen entsprungen sein könnte.
Das Tor zur Antarktis: Kinnes Cove & Brown Bluff
Bis zum Schluss ist nicht klar, ob es möglich ist, an unseren einzigen Landeplatz auf dem antarktischen Festland gelangen zu können. Bisher haben wir uns ausschließlich auf den Inseln der Subantarktis und der Antarktis aufgehalten. Nur wenige Stunden zuvor war die Bucht voller Treibeis, das ein Durchkommen mit den Zodiacs definitiv verhindert hätte. Je näher wir kommen, umso deutlicher ist zu sehen, dass die Bedingungen traumhaft scheinen. Jetzt bleibt zu hoffen, dass auch die letzten Meter machbar sind. Als wir, etwas angespannt, auf die Durchsage warten und auf die braunen Tuff-Klippen in der Distanz warten, herrscht nahezu völlige Stille. Nur spärlich dringen sanfte Geräusche zu uns. Plötzlich ertönt die Durchsage: Eine Landung ist tatsächlich möglich! Ich lege die Rettungsweste an und schwinge meinen Rucksack auf den Rücken. Während ich auf den letzten Metern zur Gangway bin, schließe ich die Verschlüsse meiner Weste.
Noch auf der Überfahrt selbst sprechen wir über die Tatsache, dass wir nun Festland betreten werden. No big deal. Doch als wir tatsächlich den ersten Schritt auf dem Festland machen, fühlt es sich anders an. Schwer zu beschreiben. Die Mundwinkel ziehen sich nach oben, ohne bewusst angesteuert zu werden und ein Gefühl der Ehrfurcht entsteht. Ein Gefühl, am Ende der Welt angekommen zu sein. Zum ersten Mal einen neuen Kontinent betreten zu haben. Die kühle Luft der umliegenden Glescher streicht langsam entlang der Küste, immer wieder unterbrochen von einem Hauch Pinguin Guano. Und ja, ich muss zu geben, dass die Pinguinkolonien teilweise einen strengen Geruch haben, doch nichts gegen den von Walrossen oder Seebären.
Fotografisch bietet unsere Landung bei Brown Bluff einiges. In der Distanz höre ich das zufällige Knacken des Eises der Gletscher. Zahlreiche Gletscherzungen landen hier im Meer und versorgen die Bucht mit unzähligen Eisbergen. Die Pinguine springen aus dem Wasser und sind durch das seichte, klare Wasser zu sehen. Neben den kleinen Adelie-Pinguinen sehen wir hier auch zahlreiche Gentoos, die hier eine Kolonie nahe am Wasser etabliert haben.
Als ich mich hinunterbücke um eine Aufnahme aus einer tiefen Position zu machen und somit den Gletscher im Hintergrund ebenfalls im Bild zu haben, springt ca. 1,5 Meter von mir entfernt ein hektischer Gentoo Pinguin aus dem Wasser. Er hat es sichtbar eilig und ich beobachte ihn etwas länger. Einige Augenblicke später verstehe ich seine Eile besser: Hinter ihm im Wasser sah ich einen dunklen Schatten vorbeihuschen. Das schlangenartige Schwimmverhalten deutet auf einen Seeleoparden hin, einen der gefährlichsten Räuber der Pinguine. Ich bin froh, dass der Pinguin in diesem Fall schnell genug war.
Das Reich der Eisberge: Weddell-Meer
In der Antarktis kann das Wetter in wenigen Minuten völlig umschlagen und starke Winde lassen Strömungen und Tiefdruckgebiete den Eindruck der Landschaft und die Passierbarkeit völlig verändern. Welche Orte man besuchen kann, hängt absolut vom Wetterglück ab. Wir sind derart gesegnet, dass wir an diesem Tag den Weg durch die Eisberg-Allee nehmen können. Eine Passage, die sehr speziell und bekannt zugleich ist. Eine Passage, die auch nicht sehr häufig passierbar ist.
Eigentlich sollten wir doch gar nicht einen Abstecher in das Weddell-Meer machen, doch mit einem fantastischen Tag voller Sonnenschein und ohne Wind, beschließt unser Expeditionsteam uns einen besonderen Eindruck zu bieten. Und somit gleiten wir, wie über einen flüssigen Spiegel, entlang an der wunderschönen, weißen Küste durchs Weddell-Meer und halten Ausschau nach besonderen Tieren und beeindruckenden Landschaften. Ein wenig hoffen wir noch darauf, Kaiserpinguine auf den Eisschollen entdecken zu können, doch dieser Wunsch bleibt uns unerfüllt. Kein Grund sich zu beschweren ;-)
Fantastische Winter-Wunderlandschaften: Mikkelsen Harbour & Palaver Point
Es gibt Tage, an denen erreicht man Orte, die man niemals gedacht hätte, jemals zu betreten. Und der frühe Start hat uns an einen Platz gebracht, der in eine enge Bucht gebettet war. Das entfernte Knacken von Gletschern und die sanft landenden Schneeflocken auf der eigenen Jacke brachen die greifbare Stille von Zeit zu Zeit. Meine Freude über den Schneefall könnte kaum größer sein. Besonders bei starkem Schneefall in Kombination mit den kleinen, süßen Pinguinen konnte ich die Stärke des wunderbaren Sony 50-150 mm f/2 GM vollständig auskosten. Aus den kleinen Schneeflocken entstehen riesige, weiße Kugeln in den Bildern. Atmosphäre zum Angreifen. Die kleinen Pinguine im Hintergrund sind ebenso das Hauptelement der Aufnahme, als auch eine Begleitung der wunderschönen Landschaft in der Distanz.
Nachdem ich bei lauschigen -2 °C und zunehmenden Wind zahlreiche, tolle Aufnahmen der Eselpinguine (Gentoo Penguins) machen konnte, war noch ein weiteres Highlight geplant. Doch von den anfänglich sehr zahlreichen Interessierten reduzierte sich die Anzahl zunehmend. Wir gingen zum Strand, an dem wir angelandet waren, zurück und stellten uns der kühlen Herausforderung. Langsam berühren die nackten Füße den kalten Schnee, der Wind bläst und jetzt heißt es, die eigene Komfortzone wieder mal zu verlassen. Ab ins kühle Nass! Wer hätte das noch vor einigen Monaten gedacht, dass ich in der Arktis auf knapp 80° in Spitzbergen sowie Grönland, als auch in der Antarktis im selben Jahr ins kalte Wasser tauchen würde?
Polar Plunge
Mikkelsen Harbour bei -2°C Luft und -0,5°C Wassertemperatur
Foto: Copyright Matt Cheok
Nach dieser Erfrischung ging es nach dem Abtrocknen wieder in die Kleidung. Das Anziehen der Socken war dabei wieder mal die größte Herausforderung, die irgendwann auch gemeistert wurde. Zurück auf der Ortelius war der erste Weg zur Kaffeemaschine. Gemütlich mit einem Kaffee in der Hand aus dem Fenster blickend, beobachtete ich die einzigartige Landschaft, die vor dem Fenster vorbeizog.
Am Nachmittag fanden wir uns in einer faszinierenden Region am Beginn der de Gerlach-Strait wieder. Diese Region wird auch Serengeti der Antarktis genannt, denn hier ist die Wildlife-Dichte noch höher als an anderen Orten. Noch bevor wir unseren Platz für die Anlandung erreichen, sehen wir zahllose Buckelwale, die sich knapp unter der Oberfläche an den Fischschwärmen laben. Wir spazieren bergauf durch den tiefen Schnee und erreichen eine Chinstrap-Kolonie die sich kaum ein malerischeres Zuhause aussuchen hätte können. Dieser Ort war so faszinierend und wundervoll, dass es mir besonders schwer fiel, diese gigantische Weite, die beruhigende Stille und die natürliche Schönheit zugleich in ein einziges Bild einfangen zu können.
Mit dem Schiff in einen aktiven Vulkankrater: Deception Island
Fasziniert begebe ich mich schnell an Deck, um die Einfahrt, die gerade einmal 100 Meter breit ist, zu beobachten. Der Vulkankrater hat sich mit Wasser gefüllt und ist heute bei geeigenten Bedingungen mit dem Schiff befahrbar. Dazu soll allerdings auch angemerkt sein, dass auch der Captain imstande sein muss, diese Übung zu vollbringen. Außerdem gilt für die Einfahrt eine maximale Windgeschwindigkeit, bei der es noch erlaubt ist, die Engstelle zu passieren. Wir sind glücklicherweise knapp darunter, aber der Wind pfeift uns anständig um die Ohren. Als wir an Land sind, sehen wir die Überreste der Walfangstation, auch ein Flugzeughanger wurde hierher transportiert und errichtet. Doch diese sonderbaren Aktionen liegen schon einige Jahrzehnte zurück. Heute sind sie Mahnmal für eine Zeit, in der wir diese Region stark ausgebeutet haben und Wale als Energiereserven genutzt haben.
Landschaftlich finde ich mich bei Deception Island sofort nach Ìsland zurückversetzt. Die wunderschöne, vulkanische Insel im Nordatlantik hat teilweise eine sehr vergleichbare Landschaft wie hier. Zumindest war meine Assoziation so. Der intensive, schwarze Lavasand färbt den reinen Schnee mit einem Grauton. Eine Tuschezeichnung der Natur entsteht und damit der Eindruck eines natürlichen Schwarz/Weiß-Bildes.
Die gigantischen Tanks stehen in der Landschaft und wirken völlig deplatziert. Sie verrosten, werden langsam und allmählich von der Natur zurückgewonnen und in Eisenoxid umgewandelt. Wie die Tränen der tausenden und abertausenden Wale, die grausam geschlachtet wurden, fließend die gefrorenen, kleinen Bäche, von den Tanks ab. Und wir spazieren unbeteiligt daran vorbei, zumindest die Meisten von uns.
Die puristische und reduzierte Landschaft von Deception Island fasziniert mich sehr. Besonders die Übergänge zwischen Schnee und darunterliegendem Sand funktionieren sehr gut in Bildern. Eine Linie wird von der Nächsten übernommen und zieht sich weiter durchs Bild.
Der Abschied
Irgendwann geht jede Reise zu Ende und so auch diese. Jedes Segment dieser Reise war etwas Besonders für sich. Jede Insel, jede Landung und jede einzelne Pinguinart hatte einen eigenen Charme, eine eigene Wirkung und einen charakteristischen Lebensraum.
"Nach drei Wochen zwischen Pinguinen, brüllenden Seeelefanten, tanzenden Eisbergen und dem Geist Shackletons lässt mich ein Gedanke nicht los: Wir besuchen diese Welt nicht nur – wir tragen die Verantwortung, dass wir der Natur mehr zurückgeben als wir von ihr nehmen"