Wie du alles rund um dich vergisst
Wenn ich in der Natur bin, beobachte ich das Licht, wie es auf die Landschaft fällt und Schatten entstehen. Ich achte auch darauf, wie sich der Wind auf meiner Haut anspürt und wie sich die Temperatur verhält. Bewusst nehme ich Gerüche von Tieren und Pflanzen wahr, bei Regen und bei Sonnenschein. Mit dem Wetter ändert sich auch das Verhalten der Tiere und manche Arten wollen bei Regen gar nicht aus dem geschützten Versteck kommen.
Alles vergessen, alles im Flow
Für mich persönlich ist der Begriff „Zen“ seit vielen Jahren ein Teil meines Lebens. Die Ausgeglichenheit und die Ausgewogenheit sind darin entscheidende Aspekte. Klare Gedanken und freie Gefühle sind dabei ebenso essenziell, wie der innere Friede und die Leere. In dieser Haltung ist kein Platz für Sorge, kein Platz für Furcht, alles spielt sich im Jetzt ab. Manche Orte evozieren dieses Gefühl sehr stark und vor allem beim Fotografieren stellt sich immer wieder der viel erwähnte Flow-Zustand ein. Völlig fokussiert arbeite ich an Kompositionen in der wunderschönen Naturlandschaft und reagiere vollkommen darauf, wie sich das Licht auf meinem Motiv ändert. In manchen Situationen ändert sich nicht das Licht, sondern die gesamte Szene. Am Meer gibt es keine zwei Bilder, die einander vollkommen gleichen. Jedes Bild ist ein Unikat und mit jeder Welle entstehen neue Formen.
Flow wird zu Zen
Stundenlang arbeite ich an Kompositionen und achte auf die Feinheiten in meinen Bildern. Die bewegten Strukturen des Wassers ändern sich bei jeder Szene, mit jeder Anpassung der Belichtungszeit verändern sich auch die Linien in meinen Aufnahmen. Kommt das Wasser auf mich zu, so entstehen andere Linien als bei abziehendem Wasser. Wenn ich an den „Diamond Beach“ auf Island denke, so gibt es mit den Eisblöcken noch ein zusätzliches Element. Diese schroffen Strukturen, die vom Salzwasser aus dem Eis gewaschen werden, bilden einen unfassbar starken Gegensatz zu den sanften Linien des Wassers. Voll im Flow denke ich nur an die Wirkung meiner Bilder. Ich gehe voll in der Fotografie auf und passe für das Wunschfoto meine Belichtungszeit und Blende an, verwende Filter oder auch nicht und versuche somit zwischen „Verbesserung meiner Ergebnisse“ und „Umsetzung meiner Vorstellungen“ zu balancieren.
Ab einem gewissen Punkt denke ich an gar nichts mehr. Ich übe meine Handgriffe aus und bin nur noch Teil der Natur, ohne zu bewerten oder akribisch die feinen Strukturen verändern zu wollen. Ich nehme die Gegenwart hin und bin einfach dankbar für die Zeit, die ich an diesem Ort verbringen darf. Plötzlich kommt eine Welle und ich bin wieder zurück im Flow, zurück bei den Bildideen und Anpassungen meiner kleinen Schritte für mein Wunschbild.
Zen im Alltag
Diese Zen-Erlebnisse sind nicht nur auf das Meer, die große, schier unendliche Weite oder die abgelegenen Orte beschränkt. Jeden Tag und in jeder Umgebung kannst du diese Zen-Momente, in denen alles um dich herum verschwimmt, erleben und bewusst herbeiführen. Bei der Fahrt in der U-Bahn, zuhause vor dem Fernseher, bei einem Spaziergang im Wald. Du musst dafür nicht einmal sitzen, das funktioniert auch im Stehen oder in Bewegung (nur nicht beim Autofahren). An jedem einzelnen Tag in meinem Leben soll es einen Moment geben, an dem meine Gedanken leer sein dürfen. Keine Ablenkung, keine Störungen, keine Gedanken, keine Sorgen, keine Beurteilung und auch kein Fokus. Mit jedem Tag fällt es ein kleines bisschen leichter, die eigenen Gedanken auszublenden und einfach nur zu sein. Diese Gedanken und Überlegungen kommen aus unterschiedlichen Richtungen, ob es nun die Stoiker des alten Rom sind oder die Lehren des Zen-Buddhismus, das Leben auf das „Jetzt“ zu fokussieren und Rückschläge hinzunehmen sind keine neuen Überlegungen. Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab, daher denke ich, das Leben bereitet mehr Freude, wenn man gewisse Dinge hinnimmt und weiter an den eigenen Überzeugungen arbeitet.
Für mich ist die Fotografie viel mehr als nur mein Beruf. Es ist mein Leben, jede einzelne Minute verbringe ich direkt oder indirekt damit. Alles dreht sich darum und es ist zugleich auch meine Begründung, in die Natur zu gehen. Meine große Leidenschaft und meine unendliche Faszination gilt den Tieren und den natürlichen Landschaften. Ich bin nicht sonderlich geduldig, doch in der Natur kann ich stundenlang sitzen, ohne den Drang zu verspüren, weiter gehen zu wollen. Diesen Ort der Passion und des Seins gibt es für alle Menschen auch wenn dieser manchmal erst gefunden werden muss.
In Gesellschaft fotografieren
Auch in Gesellschaft funktionieren Flow und Zen hervorragend. In einer kleinen und angenehmen Gruppe lässt sich die Natur ausgezeichnet genießen. Ob bei der Tierbeobachtung oder in der Landschaft. Zwischendurch gibt es dann noch den fotografischen Austausch zu unterschiedlichen Themen.
Der Zen-Meister Daito verfasste ein Waka:
Wenn du mit Ohren sieht und hörst mit Augen,
dann zweifelst du nicht mehr.
Diese Regentropfen, die von den Dachrinnen tropfen!
Herzlichen Dank für deine wunderbaren Bilder!
Johanna
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag. Sehr schön!